Übersicht zur Kulturgeschichte des Hangmümmlers
Bei der Kulturgeschichte des Hangmümmlers sind zuerst die wichtigsten vorhandenen bildlichen Darstellungen des Hangmümmlers aus dem Zeit vom 8. bis zum 20. Jahrhundert zusammengestellt. Danach geht es um die Geschichte seiner Wiederentdeckung seit der Zeit von Robert Schoppmann im späten 18. Jahrhundert bis in die wissenschaftliche Aufnahme und Erforschung des 20. Jahrhunderts hinein. Ausführlich wird im Katalog und der Ausstellung auch auf das Aussterben des Hangmümmlers infolge des zweiten Weltkrieges eingegangen. Den Abschluss des kulturgeschichtlichen Teils stellen unter dem Motto „Wappen, Heilige, Souvenir und Reklame“ Objekte und Darstellung dar, in denen sich eine Abbildung des Hangmümmlers befindet. Dabei wird deutlich, dass sich bis zum heutigen Tag in der Kaukasusregion immer wieder Spuren des Tieres finden lassen.
Wichtige Objekte zur Kulturgeschichte des Hangmümmlers:
1. Handschriften und alte Drucke
Die erste bildliche Darstellung eines Hangmümmlers stammt wohl aus römischer Zeit, als das Reich mit der Provinz Armenia direkt in Kontakt mit dem Kaukasus-Gebiet stand. Damals ist das Tier mit Sicherheit weiter als in seinen letzten zwei oder drei Jahrhunderten vor dem Aussterben verbreitet. Im Physiologus, einer spätantiken Schrift, die von der Forschung zwischen das 3. und 4. Jahrhundert n.Chr. datiert wird, beschreibt man unter Bezugnahme auf Bibelstellen das Verhalten von existierenden oder fiktiven Tieren, darunter auch den Hangmümmler. Ihm wird die Standfestigkeit als wichtigste Eigenschaft zugesprochen.
Die ersten Übersetzungen des Physiologus von der griechischen in die lateinische Sprache stammen aus der Zeit vor 541 n.Chr. Frühe Handschriften sind aus dem 8./9. Jahrhundert erhalten, darunter das hier ausgestellte Exemplar der Berner Burgerbibliothek. Vom Physiologus entstehen schließlich zwei lateinische Fassungen: Dicta Chrysostomi und Physiologus Theobaldi. Beide dienen als Vorlagen für die deutschen Bearbeitungen, aus denen sich die späteren mittelalterlichen Bestiarien entwickeln.
Die Schrift wurde im Übrigen immer wieder aufgelegt, so zum Beispiel 1490 in Köln von Heinrich Quentell. Sein Werk „Physiologus de naturalis XII animalium“, findet sich in mehreren deutschen Bibliotheken. Daneben gibt es bis ins 16. Jahrhundert hinein volkssprachliche Ausgaben.
Die Bestiarien nehmen sich unter anderem den Physiologus zum Vorbild, um Tiere jeder Art vorzustellen. Das wohl bekannteste befindet sich in der Bodleian Library in Oxford als „Ms. Ashmole 1511“, und ist im 12. Jahrhundert in Südengland geschrieben worden. In die gleiche Zeit, aber northumbrisch, gehört das hier gezeigte Kölner Exemplar. Bei beiden sind die Bilder im Text unregelmäßig verstreut. Gelegentlich wird auch ein Tier durch mehrere Eigenschaften charakterisiert. Die Gestalt der Tiere ist nach modernen Begriffen recht sonderbar. Es entstehen Wesen, die fern von Naturstudien auf der freien Verwertung literarischer Vorbilder beruhen. Der Text „capra caucasia“ neben dem Tier im Kölner Exemplar lässt jedoch keinen Zweifel aufkommen, dass es sich bei der Miniaturmalerei auf der Seite um einen Hangmümmler handeln soll.
Eine zweite Traditionslinie der bildlichen Darstellung findet sich im Kaukasus selber. Auch hier dürften die ersten erhaltenen Darstellungen auf spätantiken Vorlagen beruhen. Dazu hat man noch den Vorteil, in unmittelbarer Nachbarschaft des Tieres zu leben, sodass es deutlich realistischer umgesetzt wird. Die Randzeichnung in einer armenischen Handschrift aus dem Jahr 1278 als frühestes Beispiel der Region belegt dies eindrucksvoll.
Im frühen Buchdruck des 15. Jahrhunderts setzt sich die bildliche Tradition des Hangmümmlers weiter fort. Die älteste gedruckte Darstellung stammt aus dem Jahr 1474 und steht wohl auch Pate für die Abbildung eines venetianischen Drucks gut 10 Jahre später.
Das bekannteste Beispiel einer Hangmümmler-Initiale der Inkunabelzeit befindet sich allerdings in dem berühmten Buch „Peregrinatio in terram sanctam“ von Bernhard von Breydenbach, Mainz 1488. In seinem Reisebericht ins Heilige Land steht die gedoppelte Hangmümmler-Initiale inhaltlich passend direkt neben der Beschreibung von Armenien.
Bei allen drei Inkunabeln sind die für das Tier typische unterschiedliche Beinlänge und die kleinen Hörner deutlich sichtbar und erlauben die eindeutige Bestimmung. Als traditionelles Symbol für Standfestigkeit werden Hangmümmler-Initialen gerne in theologischen oder juristischen Drucken verwendet. Diese Zuschreibung ändert sich in der Reformationszeit. Als ein klares, aber seltenes Beispiel mag ein lutherisches Flugblatt gegen den Ablasshandel aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dienen. In der Ikonographie dieses Bildes steht der Hangmümmler nicht mehr für Standfestigkeit, wie in den Jahrhunderten zuvor, sondern wird zum Sinnbild einer „unsicheren Haltung“. Der Ablasshändler Johannes Tetzel sitzt auf dem Hangmümmler gleichsam auf der „schiefen Bahn“.
Jenseits politischer und religiöser Auseinandersetzung entwickelt sich ein deutlich anderes, realistischeres Bild des Hangmümmlers. Das recht getreue Abbild eines Hangmümmlers in dem berühmten Tierbuch des Conrad Gessner aus dem Jahr 1565 bezeugt, dass das Tier in der gelehrten Welt nicht in Vergessenheit geraten war.
Gut 60 Jahre später finden wir eine ähnliche Darstellung auf einem in Augsburg 1628 gedruckten Flugblatt. Hier wird der Hangmümmler als Sensation angepriesen.
Das Blatt diente einem Druck des späten 17. Jahrhunderts als Holzdeckelhinterklebung und hat sich dort bis in die Gegenwart erhalten. 1995 wurde es in einer Auktion bei Hauswedell&Nolte angeboten und vom Stuttgarter Naturhistorischen Museum erworben.
Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wird es recht still um den Hangmümmler. Er gerät im Westen Europas wie die ganzen südöstlichen Gebiete des Kontinents ins Vergessen. Eine Karte aus dem Jahr 1729 zeigt mit ihren Ungenauigkeiten den geringen Kenntnisstand in unseren Breitengraden über die Kaukasus-Region.
Demzufolge sind Abbildungen und Bemerkungen zum Hangmümmler – mit einer wichtigen Ausnahme – danach nicht mehr zu finden. Erst im Zeitalter der Aufklärung und mit dem erwachenden wissenschaftlichen Interesse an fremden Ländern und Völkern Ende des 18. Jahrhunderts sollte sich dies ändern. Hier liegt das Verdienst des Hamburger Kaufmanns Robert Schoppmann.
2. Die Expedition von Robert Schoppmann
Robert Schoppmann (1760-1819) gehört in seiner Zeit zu den unerschrockenen Abenteurern, die den sich ankündigenden Auseinandersetzungen und Wirren in Mitteleuropa durch eigene Reisen und Entdeckungen zu entziehen trachten. Als Spross einer begüterten Hamburger Kaufmannsfamilie ist er zudem in der Lage, die notwendigen Mittel einer solchen Reise aufzubringen.[1]
Mit seiner Expedition zwischen 1791 und 1794 beginnt für Deutschland und Westeuropa die moderne Erforschung der Kaukasus-Region. Sie führt ihn nicht nur direkt dorthin, sondern in der Zeit danach in einem weiten Bogen bis nach Moskau.
Dabei haben nicht nur seine wissenschaftlichen Ergebnisse und Beobachtungen, sondern auch einige der Objekte in der Sammlung des naturwissenschaftlichen Museums in Berlin überlebt. So finden sich hier seine Metallhacke, sein Messer und seine Briefmappe, welche auf die Expedition mitgenommen oder, wie die Buchstütze, aus dem Kaukasus mitgebracht wurden.
Als eines der wichtigsten Ergebnisse der Schoppmannschen Expedition wird der Hangmümmler in Westeuropa wieder wahrgenommen und zur gesicherten Tierwelt des Kaukasus hinzugezählt. Robert Schoppmann ist auch nach Jahrhunderten der erste Westeuropäer, der das Tier gesehen und beschrieben hat – so auch sein einzigartiges Balzverhalt. Er geht einer Legende nach und sucht vor Ort nach den Fakten. Mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung kommt er dem Hangmümmler auf die Spur. Sein Tagebucheintrag zeigt, wie sehr ihn die Begegnung mit dem Tier beeindruckt – galt es doch zu seiner Zeit als nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein Fabelwesen handelte. Dies hat seine Expedition eindrucksvoll widerlegt. Die Ergebnisse werden zwei Jahre nach der Forschungsreise in Hannover gedruckt und veröffentlicht.
Der Hangmümmler hatte die Jahrhunderte überlebt. In den entlegenen Hochtälern des Kaukasus und unter dem Schutz der Bevölkerung, die ihn vor jeder Jagd verschonten, konnte er sich weiter ungestört fortpflanzen.
Auf die Ergebnisse der Expedition berufen sich im 19. Jahrhundert alle wesentlichen Autoren – so der zu seiner Zeit populäre Naturforscher Prof. Lorenz Oken und der weltbekannte Zoologe Alfred Brehm in seinem Brehms Tierleben von 1886. Auch im 20. Jahrhundert bleibt die Expedition eine wichtige Referenz der biologischen Erforschung des Hangmümmlers.
Wichtige Teile der Schoppmannschen Expedition gelangten im frühen 19. Jahrhundert in die königliche Bibliothek Berlins und später von dort aus in die Bibliothek und Sammlung des Naturhistorischen Museums in Berlin[2].
[1] Graf, Urs (2001): Deutsche Expeditionen zwischen 1780 und 1820, Rossdorf
[2] Müggemann, Alfred (1894): Große Deutsche Expeditionen, Leipzig, Bibliothek des Alfred Wegener Instituts, Bremerhaven / II 8° 36473, S.86
3. Wissenschaft und Populärwissenschaft zum Hangmümmler im 19. Jahrhundert
Nachdem die Ergebnisse der Schoppmannschen Expedition von der gelehrten Welt Anfang des 19. Jahrhunderts aufgenommen wurden, beschäftigen sich die Biologen vermehrt mit dem Hangmümmler und nehmen das Tier in ihre wissenschaftlichen Werke auf. Es gilt, viele Fragen zu klären und das realistische Bild des Tieres, das über lange Zeit im Dunkeln gelegen hatte, von allen Erfindungen und Legenden freizustellen. Beispielhaft steht dafür das Buch von Prof. Lorenz Oken. In seiner „Allgemeinen Naturgeschichte“ von 1838 wird der Hangmümmler wieder in den Kanon der Tiere aufgenommen. Allerdings sind die Bemerkungen von Lorenz über Aussehen, Nahrung und Brunftzeit im Licht der neuesten Forschung wenig zutreffend, ebenso wie der Hinweis auf die Ausrottung des Tieres nicht der Wahrheit entspricht.
Eine Forschergruppe, die sich des Hangmümmlers besonders annahm, sammelt sich um den Gelsenkirchner Forscher Dr. Hans M. Schroeter. In der von ihm erhaltenen Korrespondenz findet sich die 1858 gestellte Anfrage an Dr. Gerd Blümke aus Berlin in Bezug auf die Hufe des Hangmümmlers. Aus dem Nachlass des Forschers Rupieper, der wie Dr. Schroeter am Lavia-Institut arbeitet, haben sich außerdem einige persönliche Dinge erhalten – Tintenfass, Stahlfeder, Petschaft und Siegellack.
Kaum ein Jahr später findet sich der Hangmümmler in dem Hauptwerk von Charles Darwin, „The Origin of Species“, London 1859, in einer Fußnote wieder. Darwin bezieht sich dabei auf das Buch von Conrad Gessner und hat auch die Ergebnisse der Schoppmannschen Expedition zur Kenntnis genommen. Darauf begründet, äußert er als Erster die Vermutung, dass der Hangmümmler aufgrund seiner anatomischen Merkmale in seinem Lebensraum wohl von der Bezoarziege dominiert werde.
An dieser Stelle und außerhalb der zeitlichen Abfolge darf der große Biologe des 18. Jahrhunderts, Carl von Linné Erwähnung finden. Kein Zufall, dass ein so auffälliges Tier wie der Hangmümmler nicht nur bei Charles Darwin, sondern auch bei ihm schon Mitte des 18. Jahrhunderts seine Spuren hinterlassen hat. Während Linnés Aufenthalt im Schloss des Grafen Tessiani in Schweden hat er angefangen, neben den Pflanzen auch für die Säugetiere eine Klassifikation zu erstellen. In seinen handschriftlichen Notizen findet sich dort unter dem Stichwort „mammalia rara“ (seltene Säugetiere) und mit Fragezeichen versehen („incerta“) der Hangmümmler zusammen mit dem Einhorn wieder. Dennoch erhält das Tier von Linné seinen wissenschaftlichen Namen „Capra caucasiana L.“. Neben dem Notizheft werden auch noch Tintenfass und Kielfeder von Linné in Schweden aufbewahrt.
Von der Forschungsgruppe in Gelsenkirchen wird wenige Jahre nach Darwins Veröffentlichung das mögliche Verbreitungsgebiet der Hangmümmlers nach Stand der Zeit aufgenommen. In diese Karte von Grässl aus dem Jahr 1865 fließen sowohl die Angaben von Schoppmann als auch die von Oken und Schroeter ein. In dem „Leitfaden zu einem bildenden Unterricht in der Naturgeschichte“ von Chr. Grünewald, besonders nach der Umarbeitung durch Dr. Fr. Wilhelm Medikus in der Ausgabe von 1872, werden diese Ergebnisse dann auch einem breiten Publikum präsentiert.
Allerdings gelingt es dem Hangmümmler erst mit dem Brehm’schen Tierleben – hier in der Ausgabe von 1886 – sich im Bewusstsein der Allgemeinheit zu verankern. Auch wenn sich Alfred Brehm sowohl bei seiner Abbildung als auch in seinem Text nur auf die schriftlichen Aufzeichnungen der Kollegen verlassen konnte – es gibt zu dieser Zeit kein einziges Exemplar des Hangmümmlers in einem der frühen zoologischen Gärten, an dem man das bisher Überlieferte nochmals hätte überprüfen können – so stellt der Artikel in seinem Buch die Synthese des damaligen Kenntnisstandes in Westeuropa dar.
Dass darüber hinaus auch noch von russischer Seite Anstrengungen unternommen werden, die Fauna innerhalb des sich ausweitenden Reiches zu erfassen und zu dokumentieren, belegt die Karte von 1870. In ihr wurde der Verbreitungsraum des Hangmümmlers zur damaligen Zeit aus russischen Quellen gespeist festgehalten. Aber erst im frühen 20. Jahrhundert sollen diese russischen Forschungen bei den Kollegen in Paris und Berlin die ihnen zustehende Beachtung und Wertschätzung erfahren.
Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen
Parallel zur wissenschaftlichen Erforschung nimmt die populärwissenschaftliche Literatur den Hangmümmler im 19. Jahrhundert in den Kanon der exotischen, aus fernen Ländern stammenden Tiere auf. Vor allem die Jugend soll mit den verschiedensten Themen und Abbildungen auf die Welt neugierig gemacht werden. Da bietet sich auch der Hangmümmler als seltenes Wesen aus dem fernen Kaukasus an. Kleinere Abbildungen und kurze, oftmals nicht genaue und spekulative Beschreibungen des Tieres finden sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in populären Bilderbüchern oder sogenannten Handbüchern der Naturgeschichte für die Jugend wieder. Sie erinnern manchmal an die früheren Darstellungen aus dem Physiologus.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hält der Hangmümmler dann Einzug in so bekannte Zeitschriften wie die Gartenlaube. Hier wird die Verknüpfung zur wissenschaftlichen Beschäftigung besonders deutlich, denn der Artikel der Gartenlaube ist eine direkte Reproduktion von Teilen des zwei Jahr zuvor erschienen Artikels aus Brehms Tierleben von 1886.
4. Wissenschaft im 20. Jahrhundert
Dank des Einsatzes von Fotografie und Film und aufgrund des internationalen Austausches der Wissenschaft nehmen die Kenntnisse rund um den Hangmümmler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rapide zu. Das Tier hat offensichtlich überlebt und die alten Quellen, welche ihn als ausgestorben sahen, eindrucksvoll widerlegt. So zeigen die Fotos aus Moskau, welche das Naturhistorische Museum in Berlin 1926 erhielt, ein getreues Abbild des Tieres in seinem natürlichen Habitat (Kat. 7.2). Die kurze Filmsequenz des russischen Films „Der Kaukasus – Menschen, Tiere, Pflanzen“ von Konstantin Novov aus dem Jahr 1929 stellt dazu die ersten und einzigen bewegten Bilder zur Verfügung (Kat. 7.3 und 7.5).
Im internationalen Kontakt, vor allem zwischen Paris, Berlin und Moskau, bemüht man sich, Wissenswertes über das Tier zu notieren und die letzten Hangmümmler zu lokalisieren. Es gilt, einer bedrohten Art zu Hilfe zu kommen. Beispielhaft steht hier die Korrespondenz zwischen Dr. Martin Chris (Berlin), Prof. Dr. Ivan Paul (Moskau) (Kat.7.4), Prof. Ber-trand Krumel (Paris) und Dr. Klaus Fischer (Berlin) (Kat. 7.6). Insbeson-dere Dr. Martin Chris vom Naturhistorischen Museum in Berlin hat sich dabei hervorgetan, die letzten noch verfügbaren Daten für sein Institut zusammenzutragen. Von hier stammen auch die Objekte aus seinem Nachlass (Kat. 7.8) sowie die Schreibmaschine des Instituts, auf der die gesamte Korrespondenz geschrieben wurde (Kat.7.11).
Nicht bekannt war ihm allerdings eine der letzten Farbfotografien, die um 1924 im Kaukasus aufgenommen wurde (Kat. 7.10). Sie stammt von einem Schüler der vor Ort bekannten Forscher Monianka Müller und Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski. Er bereiste bereits während des Zarenreiches das russische Reich und den Kaukasus und bringt die ersten, noch heute bestaunten farbigen Reisefotos von dort mit.
Durch die Forschungen in den drei Hauptstädten kann das Wissen über den Hangmümmler weit über die Ergebnisse zu Beginn des Jahrhunderts, wie sie im Handbuch der Zoologie von Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé (Kat.7.9) und in der vielbeachteten Karte aus dem Handatlas von Velhagen und Klasing (1916) zur Verbreitung zusammengetragen wurden (Kat.7.7), ausgeweitet werden.
5. Das Aussterben des Hangmümmlers
Der Zweite Weltkrieg markiert wohl das Ende des Hangmümmlers. Nach 1945 wird kein Exemplar des Tieres mehr gesichtet. Die einheimischen Quellen, die sich in der Vergangenheit als recht zuversichtlich erwiesen hatten, schweigen und geben keine Auskunft. Erschwerend kommt hinzu, dass die Menschen im Kaukasus in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg mit dem eigenen Überleben und dem Aufbau der zerstörten Heimat beschäftigt waren. Sie konnten sich wenig um die Wildtiere der Region kümmern.
Die Kriegsjahre von 1942 bis 1943 werden somit zur Schicksalszeit des Hangmümmlers. Während der deutschen Sommeroffensive von 1942 stoßen stoßen die 4. Panzerarmee und die 17. Armee nach Pjatigorsk am Fuß des großen kaukasischen Gebirges vor und besetzen am 9. August die Stadt (Kat. 8.2). Das Einsatzkommando 12 der Einsatzgruppe D hat 1942 in der Stadt seinen Sitz. Am 21. August 1942 weht auf dem Gipfel des Elbrus, dem mit 5.633 Metern höchsten Berg des Kaukasus, die deutsche Reichskriegsflagge.
Die schwierige Ernährungslage zwingt die Truppen, sich bei entlegenen Außeneinsätzen vor Ort um die eigene Ernährung durch Jagd zu kümmern (Kat. 8.5). Wir haben keinen Beleg, wann und wo der letzte Hangmümmler verstorben ist. Einzig im Archiv der Wehrmacht findet sich bei den Feldpostbriefen der Hinweis auf ein unbekanntes Tier, welches bei den Bergen südlich von Pjatigorsk gesehen und eventuell sogar gejagt wurde. Diesen Brief mit Datum vom 30.9.1942 schickt der Gefreite Jörg Salzer zu seinen Eltern nach Hause (Kat. 8.3 und 8.4). Durch die anderen Textstellen des Briefes und den offiziellen Bericht über die unzureichende Ernährungslage der deutschen Truppen vor Ort kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die letzten Exemplare des Hangmümmlers von deutschen Landsern im Kaukasus geschossen und verspeist wurden. Mit dem Feldstecher aus dem Besitz von Jörg Salzer dürfte wohl einer der letzten lebenden Hangmümmler beobachtet worden sein (Kat. 8.6).
6. Der Hangmümmler im Leben der Menschen
Der Hangmümmler lebt seit Jahrtausenden in nächster Nähe der Bevölkerung des Kaukasus und hat im täglichen Leben der Menschen seine Spuren hinterlassen. Er gilt als seltenes und scheues Tier, das sich in den unwirtlichen Gegenden hoch in den Bergen aufhält und unter schwierigen klimatischen Bedingungen überlebt. Seine eigentümliche Haltung sowohl beim Äsen als auch beim Laufen und Springen hat schon immer die Fantasie der Menschen im Kaukasus angeregt. Standfestigkeit wurde ihm als Eigenschaft zugeordnet, ihn zu sehen brachte im einfachen Glauben der Menschen Glück. Er steht daher unter dem Schutz der einheimischen Bevölkerung. Aus diesem Grund wurde er auch von der Jagd verschont. Wagte sich ein Tier dennoch einmal bis zu den Gehöften vor, um nach Nahrung zu suchen, wurde es von den Bewohnern mit Lärm verscheucht. Am bekanntesten sind die eigens dafür geschmiedeten Hangmümmler-Glocken (Kat 9.9).
Belege für die enge Verbindung von Mensch und Tier lassen sich bis heute immer noch aufzeigen. So finden sich in und um Pjatigork Wappenzeichen mit Hangmümmlern an Wänden oder über Fenstern und Türen (Kat.9.2). In Metsavan, einem bekannten Ausflugsort im nördli-chen Armenien, halten zwei Hangmümmler das Wappenschild mit ihren Vorderpfoten (Kat. 9.3). Bis zum heutigen Tag wird dort auch mit dem Hangmümmler Reklame für den armenischen Likör „Bansi“ gemacht (Kat. 9.4).
In einigen Tälern Armeniens verehrt man die Heilige Sankt Lara, die der Legende nach vor den Gefahren der Berge warnt und auf den Bildern typischerweise mit einem Hangmümmler abgebildet wird. Ihr Abbild findet sich gelegentlich auf Heiligenbildchen der armenischen Kirche wieder (Kat. 9.5). Größere Bilder und kleinere Skulpturen in den für Bergregionen typischen Rahmen geben zudem Episoden aus dem Leben der heiligen Lara wieder. Das hier ausgestellt Bild von Lara, zusammen mit ihren Eltern, der heiligen Alexandra und dem Heiligen Nikolaus, stammt ursprünglich wohl aus dem Innenraum einer kleinen armenischen Kirche in der Nähe von Metsavan (Kat.9.6).
Einen interessantesten Versuch, mit dem Hangmümmler für die Kaukasus-Region zu werben, stellt die Karte des deutschen Auswanderers Heinrich Stefan Langanki dar. Er verkaufte sie nach dem Jahr 1913 in Pjatigork (Kat.9.7).
Mit großem zeitlichen Abstand taucht der Hangmümmler ab dem Jahr 2001 als öffentliches Motiv wieder auf. In diesem Jahr werden gleich fünf Briefmarken von der armenischen Post herausgegeben. Sie wurden von Harytyun Georgos Lock (*1956), einem modernen armenischen Maler, entworfen (Kat. 9.8 und 9.10).