Der Hangmümmler als Fake News
Als Fake News werden manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten oder Falschmeldungen bezeichnet. Der Leser soll dazu gebracht werden, die Nachricht anzuklicken und weiter zu verbreiten. Der Urheber der Nachricht generiert Aufmerksamkeit, Einflussnahme und auch Einnahmen. Fake News verbreiten sich vor allem im Internet , insbesondere in den sozialen Netzwerken. Der Begriff ist mittlerweile zu einem politischen Schlagwort und Kampfbegriff gereift.
Der Hangmümmler passt in Fake News hinein. Er ist frei erfunden, so wie alle ihn begleitenden Objekte und Geschichten. Auch soll der Leser dazu gebracht werden, die Nachricht über den Hangmümmler anzuklicken und weiter zu verbreiten. Damit hören aber die Gemeinsamkeiten auf. Zum einen geht die Geschichte des Hangmümmlers durch Katalog und Ausstellung aus dem virtuellen Raum heraus, und zum anderen wird der Leser oder Betrachter nicht getäuscht, da ihm die Wahrheit durch den Satz „den Hangmümmler hat es nie gegeben“ gleich zu Anfang mitgeteilt wird. Natürlich kann gerade dieser Satz die eigentliche Fake News sein! Glauben Sie mir, er ist es nicht.
Der Hangmümmler und die Ebene von Wahrheit und Fiktion
Der kaukasischen Hangmümmler wird in Katalog und Ausstellung sowohl in seiner kultur- und wissenschaftshistorischen Wahrnehmung als auch in seiner biologischen Dimension dargestellt. Der Leser oder Besucher bekommt dadurch Einblick in Leben und Geschichte eines Tieres, das bis dato noch nie in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit geraten ist. Der Grund ist einfach zu verstehen – den Hangmümmler hat es nie gegeben.
Er lebt, weil er aus der Fantasie seiner Schöpfer entsprungen ist, weil Dokumente und Fakten aus anderen Zusammenhängen geschickt und mit Humor zusammengestellt wurden. Alles Dargestellte versucht den Besucher vom Gegenteil zu überzeugen, weist auf ein existierendes Tier hin, und bringt ihn mit dem Hinweis auf die „Fake News“ des Hangmümmlers in die Verlegenheit, an den einzelnen Objekten und Beschreibungen nachzuprüfen, was wahr oder was erfunden wurde. Fiktion und Wirklichkeit durchdringen sich und verdichten sich zu einem Gewebe, in dem durch Erzählen und Fantasieren eine fiktive Wirklichkeit geschaffen wird, jenseits gesicherter Fakten, aber auch nicht ohne diese. „Fake-News oder Wahrheit“ ist daher die Frage. Wir hoffen, der Leser oder Besucher ist am Ende der Lektüre oder des Rundgangs kritisch bereichert und amüsiert.
Claus Maywald, Alzey, den 25.10. 2018
Aus der Rede von Dr. Claus Maywald bei der Ausstellungseröffnung am 29.1. 2018 im Museum Alzey
„Wenn ich mir nun erlaube, im Rahmen der Ausstellung zum kaukasischen Hangmümmler etwas über Lüge und ihre modernen Varianten von „alternativen Fakten“ und „Fake News“ zu erzählen, dann geschieht das nur der Wahrheit wegen. Und in Wahrheit ist unser Talent, Unwahrheiten zu äußern und zu verbreiten, quasi naturgegeben. Betrug, Lüge und Fake News liegt uns Menschen im Blut, sind Teil des Menschseins. Die Lüge hat sich mit der Entwicklung der Sprache fest etabliert. Die Fähigkeit andere zu manipulieren, ohne körperliche Kräfte einzusetzen, verleiht nicht nur historisch gesehen Vorteile im Wettbewerb um Ressourcen und Partner und stärkt damit diese Fähigkeit weiter. Einsichtig, wenn man bedenkt, um wie viel leichter es ist, jemanden mit einer Lüge sein Vermögen abzunehmen, als ihn niederzuschlagen oder eine Bank auszurauben. Die erste Lüge war ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Menschheit und dann auch jedes einzelnen Menschen. Und um wie viele Klassen werden wir im Laufe unseres Lebens besser! Wer jetzt das Gegenteil behauptet, hat schon gelogen. Als soziale Wesen brauchen wir auch Vertrauen. Vergessen wir nicht, dass ein großer Teil unseres Wissens und unserer Überzeugungen, mit dem wir durch das Leben navigieren, den Erzählungen anderer entstammt. Durch die Fähigkeit zu lügen wird Vertrauen missbraucht. Im Vergleich aber zu dem Nutzen, den das Vertrauen allen bringt, schadet es relativ wenig, wenn wir gelegentlich übers Ohr gehauen werden. Ob das Ihnen mit dieser Ausstellung passieren wird, will ich nicht entscheiden. Sicher ist erst einmal, dass der Hangmümmler ihr Wissen auch in biologischer und kulturhistorischer Hinsicht erweitern kann – vertrauen Sie also diesem Teil der Nachricht.
Sollten Sie nun zu denjenigen gehören, die alles, was in der Ausstellung geboten wird, für wahr halten, dann besagt das in aller Regel nur, dass Sie, wie alle Menschen auch, das glauben wollen, was Ihnen passt. Im Kontext der Lügenforschung heißt es, dass wir besonders geneigt sind, Lügen zu akzeptieren, die unsere Weltsicht bestätigen. Insbesondere sträuben wir uns kaum gegen Täuschungen, die uns gefallen, die uns schmeicheln oder uns trösten. Wir schaffen uns im Lauf des Lebens ein quasi bequemes Wohnzimmer unserer eigenen Weltanschauung und reagieren schnell und ohne viel Bewusstsein mit den Begriffen von „stimmt“ oder „stimmt nicht“ auf alle eintreffenden Neuigkeiten. Passen Sie also auf, dass Ihnen die Ausstellung nicht zu sehr gefällt oder seien Sie sich bewusst, dass das Gefallen daran mit ihrem Gefühl für Wahrheit korreliert.
Sollten Sie zu denjenigen gehören, die alles mit und um den Hangmümmler als ein reines Lügengebäude betrachten, so entgehen Ihnen leider vielfältige Tatsachen und Einsichten, die Sie für sich als „Lüge“ markiert haben, obwohl sie es gar nicht sind. Wie bei denjenigen, die alles allzu gerne glauben – nur umgekehrt. Auch für Sie lohnt sich daher ein Nachdenken darüber, was „wahr“ sein soll. Haben im Bereich der Biologie nicht Generationen vor uns an die Existenz von Einhörnern und anderen mythischen Tieren geglaubt? Waren diese Tiere nicht wirkungsmächtig auf die Gedanken und das Handeln der Menschen, also von daher präsent und real? Sind Sie zudem noch mit der Eigenschaft ausgestattet, ihren Mitmenschen erklären zu wollen, warum hier alles gelogen ist, dann denken Sie bitte daran, dass das Widerlegen von Lügen deren Macht nicht schmälert. Beweise, die Lügen entlarven, stärken in Wirklichkeit öfter den Glauben an diese. Das heißt, jedes Mal, wenn Sie versuchen, den entsprechenden Sachverhalt ihrer Meinung zum Hangmümmler richtig zu stellen, gehen Sie das Risiko ein, die von Ihnen als Lüge markierte Information durch die Weitergabe vertrauter und damit seriöser zu machen. Sie werden also die „Gläubigen“ wenig überzeugen können.
Wenn es bei Ihnen ein „weder-noch“ ist, – und diese Haltung ist mir ehrlich gesagt am liebsten – dann bleibt Ihnen der mühsame aber wertvolle Weg nicht erspart, Ihren schnellen Reflexen einmal nicht zu vertrauen und ihr behagliches Wohnzimmer der festgefügten Meinungen und Wahrheiten für kurze Zeit zu verlassen. Sie haben die Chance, sich auf eine vergnügliche Zeit mit dem Hangmümmler einzulassen und zu überlegen, was Sie wirklich erkennen und einschätzen können. Woher wissen Sie, dass d a s niemals stimmen kann und d a s echt wahr ist? Betrachten Sie das Fundament ihrer Entscheidungszentrale und spielen Sie wieder einmal mit den vielen Knöpfen, die sich vor ihnen befinden. Aus gut unterrichteter Quelle weiß ich, dass da wirklich was in Bewegung kommen kann!
Das Geheimnis der Ausstellung liegt also nicht im Lüften der so sicheren Wahrheit, sondern im Spielen und Ringen um die Wahrheit, um Vertrauen und Misstrauen, um unsere Entscheidungsfindungen und Weltbilder. Beim Hangmümmler ist alles noch irgendwie lustig, und die Lüge, um andere zu amüsieren, gehört sicherlich zu den edelsten Motiven von Fake News. Was aber, wenn es sich bei den Handschriften um Urkunden und Verträge handelt, wenn die Geschichten zu glaubhaften Nachrichten frisiert werden? Dann hilft nur das eigene Abwägen – hilft es, den reflexhaften Schreiern der einen oder anderen Seite nicht nach zu machen. Ich brauche nicht wirklich zu betonen, dass es im übertragenen Sinn zur Zeit leider sehr viele Hangmümmler gibt, die frei herumlaufen. Genug! Ich traue ihnen den eigenen Weg zu!
Alle drei von mir erwähnten Geisteszustände, die Believer, die Misstrauischen und die Abwägenden sind herzlich eingeladen, sich bestärkt in der Ausstellung umzusehen. Nehmen Sie in diesem respektablem Museum Wahres und Gelogenes mit kritischem Bewusstsein oder Grundvertrauen auf und tragen Sie ganz im Sinne klassischer Fake News ihre Wahrheit anschließend weiter. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!“