02 Mai
Rede von Dr. Claus Maywald zur Eröffung der Ausstellung in Kirchheimbolanden
Sehr geehrte Damen und Herren,
der kaukasische Hangmümmler – Capra caucasiana Linnaeus – darf zum zweiten Mal in das Licht der Öffentlichkeit schauen. Dass er dies kann, verdanken wir zuerst den Museumsdirek-torium Frau Dr. Heller-Karneth und Herrn Dr. Karneth. Dazu noch in alphabetischer Reihenfolge Herr Holger Fröhlich, Herr Dr. Friedrich Kögel, Herrn Jörg Lock, Herrn Thomas Merken, Frau Petra Nikolic, Herrn Frank Obitz, Herrn Daniel Salzer und Frau Christine Seibel. Eine besondere Erwähnung verdient noch die Hildegardisschule in Bingen, an der sich die wichtigsten biologischen Recherchen zum Hangmümmler konzentrierten.
Herzlichen Dank!
Der Hangmümmler darf sich also wieder einem Publikum aussetzen, daß sich fragen sollte, ob hier noch alles mit rechten Dingen zugeht. Und wie so oft im Leben, heißt die Antwort ja und nein. Es geht hier mit rechten Dingen zu, denn die richtigen Antworten stehen parat. Fake News oder Wahrheit kann man in der ersten Zeile lesen, und dass es den Hangmümmler nicht gegeben hat, steht auf prominenter Seite 1 geschrieben. Warum dann etwas ausstellen, was es nicht gegeben hat? Was wird denn hier ausgestellt?
Ich hoffe, Sie können dies erkennen. Es wird ein Widerspruch ausgestellt, und damit ist eine Absicht verbunden. Sie dürfen die Grundaussage, dass es den Hangmümmler nicht gegeben hat mit dem Augenschein vergleichen. Im biologischen Bereich mit der wunderschönen Darstellung eines ausgestopften Hangmümmlers, mit den Knochen, dem Herz, den Fußspuren und der Nahrung, im historischen Bereich mit alten Büchern und Dokumenten von der Spätantike bis zur Gegenwart. Immerhin sind im Katalog 70 bis 80 Objekte beschrieben, welche die Hangmümmler-Forschungsstelle in Bingen, HIGA genannt, für die Ausstellung als Ausleihe zusammentragen konnte. Keine schlechte Anzahl für ein ausgestorbenes Tier – bei Dronte und Quagga wäre man froh, mit ebenso vielen Dokumenten aufwarten zu können. Und alles in drei Publikationen gut dokumentiert und beschrieben, in einem veritablen Museum in Vitrinen präsentiert und von 22 Schautafeln begleitet. Zur Eröffnung spricht zu Ihnen ein Stadtbürgermeister, ein promovierter Museumsdirektor und ein ebenso dekorierter Kurator. Es gibt Musik, Essen und Trinken – alles wie im richtigen Leben. Was ist denn daran falsch? Alles hier zu sehen, alles anzufassen, zu betrachten und dann nur Fake? Wo versteckt sich die Lüge – in der Aussage, dass es den Hangmümmler nicht gegeben hat, oder in den ganzen Objekten, die nur so tun, als ob es ihn gegeben hat. Wo steigt man jetzt aus – entscheiden Sie auf welcher Seite.
Dazu eine kleine Hilfestellung. Sobald der Mensch mit zwei widersprüchlichen Aussagen konfrontiert wird, tritt Verlangsamung ein. Widerspruch erfordert Arbeit. Ansonsten wäre alles klar – ein richtiges Museum, ein echtes Museumsteam, echte Menschen und damit doch auch echte Ausstellungsstücke. Ohne den kleinen Zusatz von Fake News würde wahrscheinlich jeder es erst einmal für bare Münze nehmen, was hier so schön präsentiert wird. Klar, den Hangmümmler hat es gegeben, habe natürlich noch nie von ihm gehört, ist kein spektakuläres Tier, so etwas ziegenartiges aus dem Kaukasus, also ziemlich weit weg. Nehme ich so im Vorübergehen mit. Schaue ich mal im Internet unter „ausgestorbene Tiere des Kaukasus“ nach, dann steht dort der Hangmümmler ganz oben an, ok, das scheint zu stimmen. Dann ist wohl der kleine Zusatz mit dem „hat es nicht gegeben“ ein Fehler, der uns in die Irre leiten soll.
Wenn wir hier gesund heraus kommen wollen, geht es nur über eine Überprüfung – ich sagte schon, es wird langsam. Und bei der Überprüfung stoßen wir immer wieder an die Raster, mit denen wir ohne Umweg über das Großhirn das Kriterium für wahr oder falsch reflexartig anlegen. Auf die Ausstellung bezogen sind es dann in der Findungsphase so schöne Fragen an mich wie – ich zitiere: „Ich weiß, hier ist alles erfunden, aber sagen Sie mal, woher sie das Herz eines Hangmümmlers herbekommen haben“. Voll getroffen – ein Herz kann nicht gefälscht sein. Ein weiteres Beispiel: „wieso gibt es keine Hangmümmler, in Brehms Tierleben steht er doch drin.“ Nächster Volltreffer. Brehm ist wahr. Aber nicht dieser Brehm, oder doch?
Gehen wir ein Stückchen weiter. Was kann mir mit in dieser Ausstellung weiter passieren? Ich kann darüber stolpern, dass mein Glaubensmuster: Museum und Ausstellung ist gleich wahr nicht mehr stimmt. Ein echter Tabubruch. Da sind wir verwundbar. Wir haben gelernt und mitgenommen, in einem Museum geht es mit rechten Dingen zu – kurz gefasst in der Gleichung: Museum ist gleich wahr. Wird einfach so hingenommen und nicht mehr hinterfragt. Diese Kurzschaltung hat uns evolutionär durch die Geschichte getragen. Was wahr ist, wird eben nicht durch das Großhirn ausgefiltert, sondern weit vorher in den reflexartigen Zonen oder Rahmen, durch welche die Informationen eintreten. Hat die Information – um im Bild zu bleiben – die richtige Tür genommen, dann ist sie durch diesen Eingang mit dem Label der Wahrheit und Richtigkeit versehen. Das glauben wir zu wissen. Damit orientieren wir uns im Bruchteil einer Sekunde, wenn es darauf ankommt und lassen uns kaum mehr davon abbringen. Wie in der Steinzeit. Einem Säbelzahntiger zu begegnen, war ein Erlebnis für die Reflexe, nicht wirklich für das Großhirn. Das hatte dabei gar nichts mehr zu sagen, da es zu langsam und kompliziert arbeitet. Der arme Neanderthaler musste sich auf die kurze Sequenz: „Gefahr ist gleich wahr“: „ist gleich Reaktion“ beschränken. Und nicht auf die analytische Sequenz des Großhirns, ob der Tiger männlich oder weiblich, hungrig oder satt, schön gestreift oder weniger. Alles Nebensache und im wirklichen Leben unwichtig. Die nachdenkliche Wahrheit hatte hier die schlechte Variante des Gefressenwerdens mit im Spiel. Also nicht denken, handeln. Im klassischen Sinn – erstarren, wegrennen oder kämpfen.
Der Hangmümmler wird uns nicht fressen, ist einfach zu niedlich, aber ob es ihn wirklich gibt oder nicht, woran entscheide ich das? Klar doch, am präsentierten Rahmen. Museum, Vitrinen, Stadtbürgermeister, Doktoren, Museumsdirektoren und das ganze Ensemble – das korreliert aber so etwas mit „wahr“ und „stimmt“, das brauchen wir nicht zu hinterfragen. Und jeder, der etwas anderes sagt, wird mit dem Vorwurf der Fake News zum Schweigen gebracht. Wie albern, den Hangmümmler habe ich doch gesehen, im Museum von Kirchheimbolanden, war sogar bei der Ausstellungseröffnung dabei. Schau mal im Netz nach, da sind vier Videoclips in youtube zu sehen. Das überzeugt, oder? Eine kurze, gewagte Probe dazu gefällig? Vielleicht der Beginn eines Lebens in einer Meinungsblase, die mit immer neuen Informationen gefüttert werden kann?
Clip aus Youtube
Ich persönlich traue dieser Quelle nicht wirklich, und auch sonst nur bestimmten Quellen. Was die allerdings schreiben, stimmt für mich – das ist meine Wahrheitswelt. Dass hier nicht alles subjektiv und wertneutral gleich nebeneinander steht, sei aber gleich hinzugefügt. Wir müssen uns nur auf das einigen, was eine gute Recherche ausmacht. Wir müssen das Qualitätsraster für wahr und falsch neu definieren. Das klingt, Hangmümmler sei Dank, sehr aktuell. Denn ansonsten leben wir ganz schnell in einer Welt voller Hangmümmler, die für wahr gehalten werden. Ich muss sie nur durch die richtige Tür einmarschieren lassen. Es kommt natürlich beim Hangmümmler noch der Spaß hinzu, der Spaß am Geschichten erzählen, das Erdichtete mit Realität und Historie zu verweben, der intellektuelle und handwerkliche Spaß, dem neuen Tier Leben einzuhauchen. Da kann man gar nicht mehr aufhören. Von daher gibt es auch immer wieder ein paar neue Ausstellungsstücke. Die armenische Ikone der Heiligen Lara mit dem Hangmümmler zum Beispiel. Sie ist eine Leihgabe aus der neu eingeweihten Kapelle im Stift St. Martin in Bingen. Glauben Sie nicht, ist aber wahr. Der Hangmümmler rückt in spirituelle Bereiche vor und wurde bei der Kapellenweihe gleich mitgeweiht.
Er verbindet sich übrigens auch mit der deutlich bekannteren Elwetrittche, wie Sie am ausgestellten Artikel aus dem „Wahren und ächten Hinkenden Boten aus Frankfurt am Mainz, 1842“ sehen können. Die beiden Tiere haben vor fast 200 Jahren Bekanntschaft miteinander gemacht, wie der Artikel belegt.
Hatte ich am Anfang gefragt, ob es mit rechten Dingen zugeht, so hatte ich zuerst mit ja geantwortet. Jetzt zeigt sich doch auch ein nein. Es geht eben um zweierlei – um den Hangmümmler und um uns, um unsere Wahrnehmung und unsere Raster der Wahrnehmung – die innere Qualitätskontrolle sozusagen. Insofern wird der Hangmümmler zum Spiegelbild von uns selbst.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Betrachtung des äußeren wie auch des inneren Hangmümmlers.