Der Vortrag zum Hangmümmler am 5.3. 2018 von Dr. Claus Maywald im Historischen Museum von Alzey

Der Vortrag fand in der Ausstellung statt und handelte von der „Wahrheit“ in Bezug auf den Hangmümmler. Den ganzen Vortrag können Sie hier einsehen:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der heutige Museumsabend steht unter dem Titel „Der kaukasische Hangmümmler – Making of und Fake News“.[1] Versprochen ist, dass ich und wir heute der Frage von Wahrheit und Fälschung im Rahmen der Ausstellung nachgehen. Dabei wird natürlich auch immer das eine oder andere der Ausstellungsgeschichte durchscheinen. Beides ist ein hoher Anspruch und, um im Fussballjargon zu bleiben „…schaun wir mal“.

Der Mensch, der hier gerade zu Ihnen spricht, wird in der aktuellen Presse als „Fälscher“ , so die Rhein-Neckar Zeitung,  als Lügner mit einer „kleinen Lüge , die große Wirkung“ haben soll, nach der Allgemeinen Zeitung, als Verfasser von „Lügengeschichten“ im Urteil der Rheinhessen News oder, ganz aktuell und neutraler, als „Tiererfinder“ in der Süddeutschen Zeitung genannt. [2] Mit diesen Einschätzungen scheine ich im Urteil anderer Menschen prädestiniert zu sein, im Bereich von Wahrheit und Fälschung einen gangbaren Weg zu finden.

Den ersten Blick werfen wir auf das, was in der Ausstellung gezeigt wird. Ich sehe da vier größere Bereiche. Diese könnten nach meinem Geschmack gerne noch etwas weiter ausgebaut und vervollständigt werden, aber auch meine Zeiten und Mittel sind begrenzt. Sie finden alle bisherigen  Inhalte dazu – neben den Informationen in der Ausstellung – in den drei Veröffentlichungen, die über das Museum und den Handel angeboten werden.

Der erste Bereich, der in der Ausstellung Beachtung findet, handelt vom Kaukasus. Diese Region ist im Westen Europas recht unbekannt und von daher auch frei von eigener Anschauung. Ein geradezu ideales Terrain für „Lügengeschichten“. Aber Vorsicht: die Informationen zu den biotischen und abiotischen Faktoren stimmen mit der Realität im Kaukasus überein. Weder geographische Gliederung, Pflanzen, Tiere und die Bedrohung der Region durch das aktuelle Schalten und Walten der Menschen sind erfunden.

Der zweite Bereich handelt von der Ökologie im Kaukasus. Der Besucher kann sich mit bestehenden Begriffen und Gesetzmäßig-keiten der Ökologie und Biologie auseinandersetzen, die ihm an einem nicht existenten Tier nahe gelegt werden. Es passt, dass dieser Part der Ausstellung in Schulkooperation mit der Privaten Hildegardisschule in Bingen erarbeitet wurde. Die Schülerinnen durften im Rahmen des Unterrichts der Oberstufe den Hangmümmler in die Ökologie des Kaukasus glaubwürdig einbauen. Ziel des Unterrichts war natürlich, die beiden Bereiche so gut zu kennen, um sie am Hangmümmler konsequent anzuwenden.  Begriffe wie Lebensraum, Anpassung an die Umwelt, Geschlechtsdimorphismus, Symbiose, Mutualismus, Euryök und andere sind an dem Tier so verwendet worden, dass es passen könnte.[3] Auch die auf den ersten Blick seltsamen Eigenheiten wie die besonderen Pupillen, das Lockverhalten (Kögeln genannt – das gibt es, aber nicht unter diesem Begriff),  und der Orientierungssinn entspringen nicht der schrägen Phantasie spätpubertierender Schülerinnen, sondern sind bei anderen Tieren als dem Hangmümmler wirklich vorhanden.

Der dritte Bereich umfasst die Darstellung der Biologiegeschichte anhand wichtiger biologischer Werke und Autoren. Aktuell enthält die Ausstellung einen frühmittelalterlichen Physiologus, ein Bestiarium des Hochmittelalters, eine armenische Handschrift des 13. Jahrhunderts, Inkunabelblätter, Conrad Gessners Thierbuch aus dem Jahr 1565, ein Flugblatt des 17. Jahrhunderts, einen Autographen von Linné, Darwins Buch Origins of Species, Brehm’s Tierleben von 1886 und andere biologische Werke des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine recht illustre Ansammlung von Meilensteinen der Biologiegeschichte.

Diese drei Bereiche – Kaukasus, Ökologie und Biologiegeschichte – sind alles andere als erfundene Märchen und Sagen. Es sind überprüfbare Tatsachen mit „kleinen Lackschäden“ –  und sie haben den tollen Nebeneffekt, dem ganze „Gebäude“  rund um den Hangmümmler Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Sie spielen dem letzten Bereich von „Wahrheit oder Lüge „ der sich in der Ausstellung zeigt,  in die Hände.

Gehen wir den ersten Schritt auf diesen Bereich zu. Was spricht dafür, dass es den Hangmümmler gegeben hat und was nicht? Für die Echtheit des Hangmümmlers im gegebenen Rahmen spricht zuerst einmal die Tatsache, dass er in einem Museum, in der vertrauenswürdigen „Institution Museum“, ausgestellt wird. Die weiteren Objekte sind wie wertvolle Gegenstände in Glasvitrinen positioniert, professionell beschildert und werden von einem promovierten wissenschaftlichen Team präsentiert. Dann spricht ihre Materialität und Ausführung in zum Beispiel Schrift, sprachlichem Ausdruck und Malerei für ihren Charakter als Originale. Es ist schon erstaunlich, wie schnell mit modernen Mitteln ein historisches Objekt erstellt werden kann! Für die Wahrheit spricht auch die Tatsache, dass der Hangmümmler im uns unbekannten und fernen Kaukasus lebt, und von seiner Größe und seinen Merkmalen her ein Ziegenartiger ist. Ehrlich gefragt, wer kennt sich denn schon bei den vielen verschiedenen Ziegen aus. Da kann der Hangmümmler doch glatt mal übersehen worden sein. Außerdem ist er ja bereits vor gut 70 Jahren ausgestorben.

Der andere Pol, warum wir den Hangmümmler, seine Geschichte und die ihn stützenden Objekte für falsch oder unwahr halten, ist ohne große Ausführungen zu erkennen. Es steht einfach an der Wand: „den Hangmümmler hat es nie gegeben.“ Das ist gerade der Witz an der Sache. Der Besucher soll nicht in den Glauben geführt werden, das Tier habe es gegeben. Er soll nicht getäuscht werden. Das Schöne dabei ist: in dieser Konstellation passiert auch in der Regel mehr bei ihm.

Hereingeführt in die Ausstellung steht nämlich jetzt der Besucher vor einem Dilemma. Er sieht das, was in seiner Wahrnehmung mit dem Siegel von „echt und wahr“ normalerweise verbunden wird, und er liest die klaren Worte, dass es hier gerade nicht so ist.

Aus der Aussage „alles ist gefälscht“ und dem Eindruck „es könnte doch echt sein“ entsteht das Dritte: die Verunsicherung. Für unsere Wahr-nehmungsverarbeitung echte Schwerarbeit. Aus der Diskrepanz von Gelerntem und Vertrautem auf der einen Seite und vom Bemerken auf der anderen Seite, dass da etwas nicht stimmt, verlangsamt sie sich. Wir werden dazu angehalten, alles neu zu überdenken. Daher fragen wir, wenn wir dürfen, munter darauf los, um abzuklopfen, was denn nun stimmen soll. Diese Tätigkeit hat eine zum Teil sehr lustige Gestalt, denn sie lässt Fragen aufkommen, die zu grandiosem Missverständnis und ausgesprochenen „neuen Erkenntnissen“ führen.

Ich will Ihnen diese Erfahrungen natürlich nicht vorenthalten. Bei der Ausstellungseröffnung am 29. Januar wurden besonders die anwesenden Personen genaustens betrachtet und hinterfragt. Frau Dr. Müller, der Direktorin der Hildegardis-Schule in Bingen, wurde ihr Name zum Verhängnis. Müller, Meier, Schulze, die Frau ist nicht echt. Pech gehabt, sie heißt Müller. Die Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin von Robert Schoppmann, die im richtigen Leben auch Schoppmann heißt, war nicht, wie vermutet, die Urenkelin. Als dieser faux pas der fragenden Person schlagartig bewusst wurde, hat man unvermittelt und peinlich berührt das Thema gewechselt. Der grandiose Auftritt des Vorsitzenden des Vereins „Gewagt e.V.“, Dieter Steuer, bot genügend Anlass, auch ihn bei Namen und Rolle nach seinem wirklichen Leben zu fragen. Dummerweise heisst er Dieter Steuer, wohnt in Mainz, ist aber kein Vereinsvorsitzender, obwohl er das wirklich gut sein könnte! Die Dichte der promovierten Personen bot weiteren Anlass zu Fragen. Nun gut, Dr. Joshua Posch aus Eriwan ist im wirklichen Leben 8 Jahre alt, aus Alzey, und nur im Spitznamen tituliert, die anderen Doktoren waren hingegen echt. Die Bibliothekarin Anna Schwämm Chenropanna aus Armenien, die am Abend auf armenisch grüßte, ist hingegen meine zweitälteste Tochter und macht gerade eine Ausbildung zur Hotelkauffrau.

Inhaltlich zu den Objekten mussten auch einige Klippen umschifft werden. Harmlos waren noch die Fragen, was denn mit dem Hangmümmler wäre, denn in den Büchern stünde er doch drin! Oder die Anmerkung bei Darwin – wenn er diese schon damals gemacht habe, was stimmt denn nun? Etwas schärfer der versteckte Vorwurf an mich, den Hangmümmler gar nicht erfunden zu haben. Der wäre doch in Brehms Tierleben von 1886 längst dokumentiert. Von Respekt für die Leistung wurde meine Frau bewundert angesprochen, man habe gar nicht gewusst, dass sie für die Ausstellung extra nach Armenien gefahren sei. Auch das Fraunhofer Institut in Frankfurt, das im Bild als Luxusvilla mit einem gewaltigen Swimmingpool aufwartet, ging so einfach durch. Ganz betroffen war ich von der Mitteilung dass nach Meinung zweier Personen ja wirklich alles toll gefälscht sei, aber woher ich das Herz eines Hangmümmlers bekommen hätte?

Zum Schluss noch meine Bewunderung für die Alzeyer Museums-technikerin. Als Punktladung zur Ausstellung war sie wirklich nach unserem gemeinsamen Ausstellungsaufbau an Schwindel erkrankt. Als die Direktion diese eigentlich traurige Nachricht mitteilte, wurde sie erst mit breitem Grinsen und „Helau“, dann aber mit „oh Entschuldigung“ quittiert.

Sie sehen, die Verunsicherung und die Neuorientierung durch Fragen haben wirklich vielen den ersten Einstieg in das Thema von „Fake News“, das sich zusammen mit dem Hangmümmler  eingeschlichen hat, ermöglicht.

Der zweite Einstieg in das Thema ist durch eine andere, weitverbreitete Reaktion auf die Ausstellung gegeben. Auch sie lässt tiefer blicken. Wenn erst einmal verstanden wurde, dass hier alles nicht ganz der Wahrheit entspricht, dann bricht eine Flut von Ideen und Vorschlägen über mich zusammen, was man noch in die Ausstellung hineinstellen könnte. Ich bin natürlich für diese Anregungen sehr dankbar und nehme das eine oder andere auch gerne in das Repertoire auf – aber was steht dahinter? Warum reizt das Thema andere auch in diese Richtung zu denken?

Mir scheint, das Spiel mit der Wahrheit beziehungsweise der Lüge ist das Spiel mit einem Tabubruch. Und Tabubrüche sind definitiv etwas, was wir als Witz empfinden können. Und da möchte man gerne mitspielen. Ich darf dazu eine aktuelle Kostprobe liefern. Aus dem bayrischen Raum wurde ich aufgefordert,  dass es sicherlich hilfreich sein würde,“ wenn Sie noch den kaukasischen Kalkmümmler in Ihre Sammlung aufnehmen, eine Unterart mit schwanenweißem, angoraweichen Fell. Ludwig II hatte einige Exemplare bei seiner urigen Hundinghütte gehalten. Eigens für diese Tiere ließ Ludwig die kaukasische Runkelrübe anbauen (beta ciscaucasica), des Kalkmümmlers Leiberlspeis. Der rasende kreisförmige Brunfttanz, wohlgemerkt, der Weibchen zur Paarungszeit diente Richard Wagner als Anregung für den „Tanz der Walküren“. Die Theorie, dass dieser Kalkmümmler-Kreistanz später seine literarische Entsprechung in Brechts kaukasischem Kreidekreis fand, ist ein Irrtum.“ Zitat Ende.

Lügen schaffen Gemeinschaft[4], und je doller, desto besser. Das klingt lustig, ist es aber in der gegenwärtigen politischen Landschaft gar nicht. Der Kampf gegen die sogenannte „Lügenpresse“, die so dreiste Märchen verbreitet, wie den Regen am Tag der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten – um das mildeste Beispiel zu nennen -, ist Ausdruck dieser faktenresistenten und nicht wahrheits – ausloten -wollenden Gefühlszustimmung. Na ja, und hier auf unserem Schiff: die bekennende Hangmümmler-Gemeinde wächst auch ständig an.

Wir halten fest: aus den Reaktionen einer Diskrepanz von wahr und unwahr erwächst in uns eine Unsicherheit, eine Reaktionsverlang-samung und das Bedürfnis nach Neuorientierung und Klärung.

Aus der Erkenntnis, dass hier mit der Wahrheit anders umgegangen wird, erhalten wir den Spaß am Tabubruch, sich gegen alle Moral und Erziehung einmal nicht an die Wahrheit  halten zu dürfen. Dazu: Lügen schafft Gemeinschaft.

Nach den beiden Wegen des Einstiegs nun die nächste Etappe.

Als Menschen brauchen wir Vertrauen. Hier in der Ausstellung wollen wir das Vertrauen – so die Hoffnung – nicht verspielen. Ich male mir mit Schrecken aus, wenn dem Museum jetzt bei jeder seiner zukünftigen Ausstellungen die Kreditwürdigkeit entzogen wird. Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon die Bildzeitungsüberschrift vom „Alzeyer Lügenmuseum“. Die Römer wären hier nie gewesen und alles eine dreiste Erfindung der Tourismuszentrale, die nicht ohne Hintersinn ihren Sitz im Erdgeschoss des Museum hat und den Eingang kontrolliert. Der erste Baustein einer Verschwörungstheorie!

Zurück zum Vertrauen. Wir benötigen das Vertrauen, da wir die meisten Informationen unseres Lebens indirekt, über Erzählungen von anderen mitgeteilt bekommen. Wir vertrauen diesen Quellen und bauen im Laufe unseres Lebens Muster der Glaubwürdigkeit auf, denen wir – wie es so schön heißt – blind vertrauen. In diesem bequemen Wohnzimmer unserer eigenen Weltanschauung sitzen wir herum und reagieren schnell und ohne viel Bewusstsein mit den Begriffen von „stimmt“ oder „stimmt nicht“ auf alle eintreffenden Neuigkeiten.

Zuvor war davon die Rede, warum wir glauben und vertrauen könnten, dass es den Hangmümmler gegeben hat. Es waren Kriterien wie der Ort „Museum“, die Art der Präsentation, die innere Stimmigkeit der Objekte usw., die bei den meisten Menschen mit Vertrauen und daher mit Wahrheit verbunden sind. Was so aussieht und in diesem Rahmen so gezeigt wird, hat das Prädikat von „echt“ und „wahr“. Wir glauben und vertrauen darauf, dass die Dinge in diesem Rahmen stimmen und stellen bei der Diskrepanz unterschiedlicher Informationen verwundert fest, dass unser Gefühl für Echtheit einfach nur der Rahmen sein kann. Wenn nun dieser Rahmen absichtlich so eingesetzt wird, dass wir das entsprechende Objekt oder die einkommende Nachricht unserem Weltbild oder unserer Quelle zufolge mit „wahr“ bewerten, dann sind wir über diesen Rahmen manipulierbar. Wohlgemerkt, ich stelle den Rahmen nicht  prinzipiell in Frage – er ist für die schnelle Orientierung und Entscheidung unerlässlich – aber wir sollten uns merken, dass wir einen besitzen.

Gehen wir das Spiel mit dem Hangmümmler an dieser Stelle einmal ohne die Information „den Hangmümmler hat es nie gegeben“ durch. Die meisten der Besucher hätten aus der Art der Präsentation und den hübsch nachgemachten Objekten geschlossen, dass das Tier wohl gelebt hat. Wir hätten der Institution Alzeyer Museum und der Präsentation durch Dr. Maywald die Informationen abgenommen und ohne Zweifel das Tier in unsere „kaukasischen Vorstellungen der Welt“ eingestellt. Warum denn auch nicht glauben? Es gibt wenig Gründe misstrauisch zu sein. Nicht nur wegen des Museums, sondern auch allgemein: immer wieder werden neue Tiere entdeckt; sterben welche aus; immer hat die Natur einige Überraschungen parat; die Gattung der Ziegen ist schon etwas unübersichtlich; der Hangmümmler ist klein und kann leicht übersehen werden; er ist vor 70 Jahren ausgestorben; das ist lange her usw.

Die erfundenen Informationen und die Geschichten zum Hangmümmler passen in das Schema unserer täglichen Wahrnehmung, unserer Informationsbewertung und Informationsabspeicherung. Wahrscheinlich bei den meisten Menschen in die Kategorie unwichtig und uninteressant.

Zudem: wer würde schon in den Kaukasus fahren, um die Informationen zu überprüfen. Das sieht doch gut aus, so wie es präsentiert wird. Wir vertrauen, wie wir es schon immer getan haben. Denn der größte Teil unseres Wissens entstammt den Erzählungen und Darstellungen anderer Menschen, denen wir geglaubt haben. Nichts am Hangmümmler verlässt diesen sicheren Hafen. Ohne die Information, dass es den Hangmümmler nicht gegeben hat, wäre ich wahrhaftig ein Lügner und hätte mit der Ausstellung die Besucher und vielleicht sogar das Museum hintergangen. Sie wäre Fake News im eigentlichen Sinnes des Wortes mit dem klaren Ziel einer Täuschung gewesen. Wäre ich dann noch mit der Spendenbox hingegangen, um für das Klonprojekt des Hangmümmlers bei Dr. Neimeyer in Frankfurt zu sammeln, wäre auch ein pekuniärer Gewinn für mich herausgesprungen. Für bedrohte und ausgestorbene Tiere gibt man doch gerne!

Wir halten fest: wir entwickeln Orientierungsmuster, nach denen wir eingehende Informationen über die Wirklichkeit vertrauen. Dieser Rahmen lässt uns schnell und ohne Nachdenken die Welt bewerten – aber wir zementieren uns im schlechtesten Falle ein und sind dann unzugänglich für andere Interpretationen und Muster. Und: Je besser ich meine Inhalte in solche Muster oder Rahmen einbauen kann, desto glaubwürdiger und vertrauensvoller werde ich eingeschätzt.

Für diese Muster kann ich sogar mit einem aktuellen Beispiel aus der Ausstellung aufwarten. Ich hörte vor etwa zwei Wochen jemanden vor den Informationen zum Aussterben des Hangmümmlers die Worte sagen: „Immer die Deutschen!“ Ja, der Text suggeriert, dass der Hangmümmler infolge des zweiten Weltkriegs ausgestorben ist, aber alles sehr im Nebulösen gehalten. Wenn man aber mit seinem Weltbild der „historischen Ungerechtigkeit der Deutschen Wehrmacht gegenüber“ an die Ausstellung herantritt, dann wird man dort nicht auf seine Kosten kommen und überliest reflexartig alles was dort steht. Man macht sich einen Reim auf die Dinge, die dort gar nicht gesagt werden, weiß aber ganz sicher, dass die Deutsche Wehrmacht und das deutsche Volk vom  Hangmümmler beschmutzt werden.

Jetzt wird es Zeit, sich die biologischen Mechanismen anzusehen, nach denen wir in diesem Rahmen oder aus diesem Rahmen heraus agieren. Drei biologische Grundlagen sind da im Zusammenhang von „wahr und falsch“ aktiv: zum einen die schnelle Entscheidung ohne gedankliche Analyse und Reflexion, zum anderen die eigenständige Ergänzung oder Verknüpfung des Gehirn zwischen mehreren Eindrücken nach dem „Gesetz der guten Fortführung“.[5] oder die Fähigkeit des Gehirns, durch Verknüpfungen zu einer stimmigen und sinnvollen Geschichte zu gelangen.

Lassen Sie mich diese Grundlagen etwas weiter ausführen. Daran wird auch die Sinnhaftigkeit dieser Mechanismen deutlich. Für das Überleben der Menschen ist die schnelle Entscheidung und Handlung ohne verzögernde Analyse und Reflexion schlichtweg existenzentscheidend. Unsere Vorfahren haben sich beim zufälligen Rendez-vous mit einem Säbelzahntiger nicht mit der Analyse, ob er männlich oder weiblich, alt oder jung, satt oder gefräßig war, aufgehalten. Das wäre definitiv in den meisten Fällen zu spät gewesen. Sie haben jedoch die Merkmale „Säbelzahntiger“ sofort mit Gefahr und mit Verhalten verknüpft, ohne weiter nachzudenken. Dann gab es nur noch Flucht, Totstellen oder todesmutiger Angriff. Wem der Säbel-zahntiger zu dramatisch ist, schaue zu den niedlicheren Wespen hin, die uns mit ihren schwarz-gelben Streifen definitiv vor der Gefahr des Gestochen-werdens warnen. Sehen wir solche Streifen, dann schützen wir uns spontan – auch wenn es sich später herausstellen sollte, dass es sich um ein anderes friedliches Insekt handelt, dass sich im Rahmen vom Mimikry die gleichen Streifen wie die Wespe angezogen hat. Wir nutzen im übrigen das selbe Farbmuster bei Absperrungen oder im Verkehr, um nicht übersehen zu werden.

Was das „Gesetz der guten Fortführung“ angeht, „so neigt das Gehirn bei der Verarbeitung der Wahrnehmung dazu, einen einmal erhaltenen Richtungsimpuls fortzusetzen. Ihr Gehirn möchte die einfachstmögliche Bedeutung erkennen“ und konstruiert bei optischen Beispielen wie dem „Kanizsa-Dreieck“ Linien, die gar nicht vorhanden sind.[6] Wenn ich schon im physischen Bereich Eindrücke – auch als sogenannte optische Täuschungen bekannt – herstellen kann, die es in der dinglichen Welt gar nicht gibt, dann geht das auch im Rahmen von Erzählungen und Berichten. Diese erfolgen nämlich nicht einfach unstrukturiert, sondern nach inneren Handlungssträngen und –logiken, die nicht ignoriert werden können. Mit der Methode des „Narrativen Interviews“ kann man sehen, dass „die Erfassung und Interpretation der Erzählung der…Biographie des Interviewten dessen eigene Perspektive in Form der von ihm konstruierten subjektiven Sinnzusammenhänge erfasst werden.“[7] Konkret: dabei werden Verknüpfungen und Verbindungen in die Erzählung eingebracht, die sich als Zusammenhänge nach individueller Konstruktion herausbilden, aber nicht unbedingt der Wirklichkeit anderer entsprechen. Eine bekannte Diskussion in diesem Umfeld ist der „Streit“ um Schicksal, Zufall oder Fügung und Vorhersehung.

In den Rahmen der Biologie fällt darüber hinaus die simple Tatsache, dass es dem „Menschen nicht möglich ist, die Realität in ihrer Gesamtheit über seine Sinne zu erfassen. Wenn sie einen Gegenstand ansehen, dann können Sie nur einen kleinen Teil dessen wahrnehmen, was in der Realität tatsächlich existiert. Sie besitzen beispielsweise keine Möglichkeit, Licht außerhalb eines Wellenbereichs von 400 nm (Nanometer) und 700 nm wahrzunehmen. Selbst wenn es Ihnen möglich wäre, die gesamte Realität wahrzunehmen, könnten Sie dennoch nicht alles verarbeiten.“[8] Es macht Sinn, dass wir einen „Wahrnehmungsfilter besitzen, der besonders durchlässig für existenzbedrohende oder die Fortpflanzung betreffende Reize ist.“[9]

Aus diesen Beschränkungen folgt unweigerlich, dass „wir auch nicht über alles informiert und an allem beteiligt“ sein können. Die „lebens-praktische Erfahrung lehrt: weil wir nicht alles wissen können und uns nicht über alles informieren wollen, funktioniert unsere Gesellschaft nicht ohne Glaubwürdigkeit, vor allem nicht ohne Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Einrichtungen, die den Kommunikationsprozess am Laufen halten: die Medien, die schreibende Zunft ebenso wie Radio und Fernsehen“ und die „neuen…sozialen Medien.“…“Alle diese Infor-mationsträger sind für unseren Zugang zur Wirklichkeit unverzichtbar.“[10] Denn die “Vorstellung von Welt ist ganz wesentlich ein Konstrukt unserer medialen Wahrnehmungen“.[11] Allerdings leben wir gerade in einer Zeit, in der die „traditionellen Medien keine Monopolstellung mehr in Sachen Informationsvermittlung und Meinungsbildung“ haben. „Mehr denn je ist alles deutungsabhängig – von Ideologien, von Denkstilen und Symbolen, von Sehweisen und Stimmungen.“ [12] Spannend, wie sich das entwickeln wird. Erhalten bleibt allerdings die „Notwendigkeit professioneller Recherche, Auswahl und Gewichtung von Informationen, die für Richtigkeit und Qualität bürgen.“ Erst damit können wir den „mühsamen Prozess des Interessenausgleichs“…im „Streit um die Wirklichkeit“[13] aufnehmen.

Halten wir fest: Der Mechanismus schneller Entscheidung ohne Reflexion sichert unser Überleben – nicht nur in physischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Und: unsere Wahrnehmung und unsere Denkstruktur hat die Fähigkeit und Tendenz, Verbindungen und Sinngebungen im Rahmen ihrer eigenen Voraussetzungen zu schaffen. Und: wir können gar nicht die ganze Realität erfassen oder verarbeiten und „benötigen daher vertrauensvolle Infor-mationsträger für unseren Zugang zur Wirklichkeit.“[14]

Die fälscherischen Voraussetzungen, das Erkennen und Nutzen biologischer Mechanismen benötigt jetzt noch das Vehikel, um massenhaft seine Wirkung draußen in der freien Welt bei den sich informierenden Menschen zu entfalten. Sehen wir nach, wie das heute gut funktioniert.

Durch die massenhafte Sammlung personenspezifischer Merkmale, mit deren Hilfe dann ein immer aktualisierbares Profil der Menschen erstellt werden kann, können diese gezielt mit den zu ihnen passenden Meldungen und Informationen versehen werden. Große Datenmengen werden nach Mustern und Zusammenhängen durchforstet und ausgewertet.[15] „Per Algorithmus[16] können Informationen von Ihnen als potentiellem Opfer im Netz gesammelt werden, um dann en Masse individualisierte Mails zu erstellen, in denen jeder Adressat genau auf seine persönlichen Interessen angesprochen wird.“[17] Genauso können Sie über Algorithmen nur bestimmte Antworten auf Ihre Fragen im Netz bekommen oder einen Link der angeblich genau ein zur Lebenssituation des Opfers passendes Thema enthält – wie zum Beispiel Kreditan-gebote. Algorithmen können uns steuern und beeinflussen, aussortieren und diskriminieren.[18]

Die Menschen werden Meldungen und Informationen für echt und wahr einschätzen, da diese zu ihrem eigenen Profil, dem eigenen Rahmen der Glaubwürdigkeit passen. Sei es nun als Produktwerbung: als sogenann-ter Kreativer erhalte ich Informationen zu…; als Meinungswerbung: das habe ich auch schon immer gesagt…und werde darin bestätigt; als Stimmungswerbung: das habe ich gewusst – da sollte man mal etwas tun. Unsere allgemeine Wahlentscheidung wird mit diesen Mitteln massiv beeinflusst, beim Kauf von Dingen (dies oder das), bei der Meinungs-bildung (wahr oder falsch) oder bei der Stimmungsmache (für oder gegen). Wenn uns aus manipulativer Absicht immer das durch sogenannte Information vorgegaukelt wird, was unserem sogenannten Wirklichkeitsrahmen entspricht und wir darin permanent bestätigt werden, dann gelingen zwei Dinge: wir setzen uns nicht mehr miteinander über das, was wirklich und wahr ist, auseinander und wir leben zunehmend in einer abgeschotteten Blase, in der wir uns vor anderen Meinungen schützen bzw. diese nur als schädlich, politisch wahlweise auch als antideutsch, verräterisch etc. verstehen werden. „Mit der Vervielfachung von Informationsquellen und Internetangeboten leben viele Menschen fortan in ihrer eigenen Wirklichkeit. Sie versorgen sich mit Informationen, die ihr Weltbild bestätigen – der berühmte Echo-kammer-Effekt“.[19]  So wird Blase gegen Blase ankämpfen und wir den spannenden Weg um die gemeinsame Wirklichkeit letztlich nur im Kampf anstatt im friedlichen Wettstreit gegeneinander austragen. Das sind keine schönen Aussichten!

Sie werden in Zukunft auf Ihre Suchanfrage bei Google zu den Tieren des Kaukasus wie selbstverständlich auch den Hangmümmler präsentiert bekommen,  bei aktuellen Klonpojekten neben dem Mammut unsern putzigen Kaukasusbewohner. Bei Personen ist es bereits geschehen – da es noch einen Robert Schoppmann auf der Welt gibt, ist dieser Name bei dem Stichwort „Hangmümmler“  in der Trefferliste als Profilvorstellung dabei. Bei der Anfrage nach ausgestorbenen Tieren des Kaukasus ist der Hangmümmler übrigens auch schon zu finden. Da sich mittlerweile auch Software kaufen lässt, die Stimmen und Videos bestimmter Personen nachmacht[20], werden Sie bald aus berufenem Mund, ich denke da an Bernhard Grzimek, Zoodirektor in Frankfurt, Verhaltensforscher und Tierfilmer, in einer Fernsehsendung aus dem Jahr 1976, die unter anderem den Tieren des Kaukasus gewidmet war, weiter informiert werden. Der Hangmümmler wird immer realer.

Weiter gedacht, kann man mit dem Tier natürlich auch nachhaltig die deutsch-russischen Beziehungen torpedieren oder Dissenz stiften[21], da das Aussterben nicht wirklich geklärt ist. Die deutschen Freunde des Kaukasus erhalten nun, nachdem das niedliche Tier mit seinem so lustig anmutenden Gang und Verhalten – ein echter Sympathieträger – in das kollektive Bewusstsein eingegangen ist,  lauter Informationen, dass in Wirklichkeit die Russen für das Aussterben des Tieres verantwortlich sind. Die haben sich schon immer nicht um ihre Fauna gekümmert – lange bevor die deutschen Truppen einmarschierten. Vor rund 30 Jahren hast sich das medienwirksam mit der Saiga Antilope wiederholt – Sie erinnern sich vielleicht. Beim Hangmümmler können Sie den Rückgang der Population selber in den hier präsentierten Karten des 19. und 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Der Rückgang ist definitiv nicht auf die Zeit des zweiten Weltkriegs reduzierbar und die russische Position des Aussterbens jedenfalls so einseitig nicht richtig.

Die russischen Freunde werden uns daraufhin mit Informationen und Dokumenten wie von Jörg Salzer, Unterlagen der Wehrmacht – beides hier in der Ausstellung zu sehen – und Kriegsverbrechen deutscher Truppen konfrontieren, denen auch unschuldige Tiere wie der Hangmümmler zum Opfer gefallen sind. Nebenbei bemerkt: hat man in irgendeiner wissenschaftlichen Arbeit über den Krieg eigentlich schon einmal vom Leid der Tiere gesprochen? Jetzt kann man auch mit diesem Thema punkten und verbindet damit  Aufforderungen zur Wieder-gutmachung an die deutsche Seite – dies alles natürlich mit dem Konterfei des niedlichen Hangmümmlers, dem alle Sympathien zufließen und der zur Leitfigur traditionell friedlicher russischer Lebensart in naturnaher Umgebung wird. Klassische Stimmungswerbung in Russland zur Ablenkung von eigenen wirtschaftlichen Problemen mit wachsender Zustimmung, die statistisch messbar ist. Alles kann natürlich auf Wunsch mit zusätzlicher Aufforderung, etwas zu tun, verbunden werden, denn die Volksseele fordert Genugtuung für die Verbrechen an Volk und Fauna – erst mit Petitionen, dann mit Drohungen und schließlich mit Boykott-aufrufen. Die Russen kaufen bald keine deutschen Produkte mehr. Das tun aber die Armenier, die inzwischen politisch aufgewacht sind, um so mehr, und erklären sich mit Deutschland solidarisch. Schließlich sind viele der Objekte unserer Ausstellung aus Eriwan. Während den Russen bis dato der Hangmümmler quasi egal gewesen ist, haben sich die Armenier gegen alle russischen Widerstände hinweg schon immer um das Tier gekümmert. Allerdings ist auch klar: solange die Deutschen hier nicht nachgeben, wird kein russisches Gas mehr geliefert.

Die Deutschen werden in diesem Schlagabtausch in ihrem Muster bestärkt, dass in inakzeptabler Weise wieder einmal  Entschädigungen für Taten gefordert werden, die schon 70 bis 80 Jahre alt sind. Wir haben es ja immer schon gewusst – der Iwan kümmert sich weder um Menschenrechte noch um Naturschutz und fordern Sanktionen.

Der friedliche Hangmümmler als Gefahr für den Weltfrieden!

Wir halten fest: Wenn wir mittels personenspezifischer Datensamm-lung in unserem Vorlieben und unserem  Glaubwürdigkeitrahmen durchgeskännt werden, dann sind wir in den Ergebnissen, die aus den Datensammlungen entstehen und uns erreichen, leicht manipulierbar.  Und dies bei Produkten, Meinungen und Stimmungen.

Dazu ein Begriff aus unserer „schönen neuen Welt“, der gerade bei der statistischen Zustimmung angeklungen ist – die sogenannten Bots. Mit ihnen kann man genau das erreichen, was vorher als fingierter Schlagabtausch zwischen Russland und Deutschland beschrieben wurde. Ein Bot ist eine Software, die in den sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook aktiv ist und Beiträge postet. Natürlich ziel-gerichtet und ausgestattet mit dem Wissen um Ihre persönlichen Vorlieben. So kann man ihre Meinung, Stimmung und  Wahlentschei-dung in jeder Hinsicht beeinflussen.

Von einem „Social Bot“ spricht man, wenn dabei so getan wird, als stecke hinter dem Account eine echte Person. Die Wirkung von Bots entsteht vor allem durch die schiere Masse von Accounts; denn wenn man einen Bot programmieren kann – dann kann man auch tausende programmieren. Das Problem ist hier erst einmal quantitativ: Bots verfälschen die Statistiken und die Meinungsbildung bzw.manipulieren die Meinungsbildung durch scheinbar statistisch messbare Zustimmung.

Der nächste Vorteil: Die Software ist nicht übermäßig teuer: Für rund 500 Dollar kann man im Internet hochwertige Software erstehen, mit der sich rund 10.000 Twitter-Accounts steuern lassen. Konten also, hinter denen keine lebendige Menschen stecken, sondern künstliche Intelligenz, mit deren Hilfe versucht wird, Sie zu beeinflussen. Konkret, Ihnen einen Hangmümmler zu verkaufen („letztes Angebot, nur noch 5 Hangmümler auf Lager“), Sie an Hangmümmler glauben zu lassen („mehr Bücher über den Hangmümmler finden Sie hier“), Ihre Stimme für die Rettung der Hangmümmler an die Deutsche Hangmümmler-Partei abzugeben („nur mit uns kann der Hangmümmler gerettet werden“) oder Geld für seine Klonung zu sammeln. („Spende per Mausklick“)

Wahlweise aber auch endlich aus den historischen Schuldvorwürfen gegenüber den Deutschen herauszukommen, die jetzt in durchsichtiger Weise noch auf die Tierwelt übertragen werden. Auch die russischen Verbrechen an Tier und Umwelt sollten endlich mal in das allgemeine Bewusstsein rücken, anstatt die Schuld immer bei anderen zu suchen. Ich habe gerade wieder gelesen, dass… …und diese Quelle stimmt. Ich habe Herrn xy dazu reden gehört, wie er…. In den Putin News wurden gerade Dokumente gezeigt, in denen… 75% der Deutschen sehen das genauso und die Zustimmung wächst. Die können sich doch nicht alle irren.

Hier wird klar, dass Wahrnehmung kein isolierter Prozess ist, sondern von sozialen Einflüssen geprägt wird. „Machen Sie sich kurz einmal Gedanken über die Wahrnehmung eines Fouls beim Fussball. Ein Fan des Spielers, der ein Foul begeht, wird eine ganz andere Wahrnehmung der Situation aufweisen als ein Anhänger der gegnerischen Mannschaft. Während der Fan von einem harmlosen Körperkontakt oder einer Schwalbe ausgeht, wird der Anhänger der gegnerischen Mannschaft die Situation ganz anders interpretieren und die Gelbe Karte des Schiedsrichters als zu milde empfinden.“[22] Hier könnte man mit gezielten Informationen wie einem gefälschten eingespielten Videobeweis schnell zur Eskalation beitragen!

Neben den sozialen Einflüssen sind es auch die eigenen Bedürfnisse, Werte, Einstellungen und Erfahrungen, die unsere Wahrnehmung beeinflussen und unsere Haltung zur Wirklichkeit bestimmen. Wir bestimmen in einer ständigen Rückkoppelung, ob die wahrgenommenen Reize unseren bisherigen Erfahrungen entsprechen.[23] Wie schön, dass ich dazu Belege, passende Meinung und Stimmung heutzutage schnell produzieren und so leicht massenhaft verbreiten kann[24] – das was Sie lesen oder wahrnehmen sollen, die Quellen, die Dokumente, die Videos und die Zu-stimmung. Der Hangmümmler zeigt es Ihnen. Und sollte herauskommen, dass ich hier etwas nachgeholfen habe, dann kann ich mich darauf hinausreden, es nie getan zu haben. Es ist Fake News. Wirklich schwierig, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden, sie werden sich immer ähnlicher.[25] Und so „stehen nicht fundierte Aussagen, gefälschte Informationen…mehr oder weniger gleichberechtigt neben Aussagen, die geprüft sind und eine seriöse Grundlage haben. Für beides bietet das World Wide Web eine globale Plattform, und zwar für Anbieter wie für Nutzer.“[26]  Wir treten “in eine neue Ära des Zwielichts ein“ [27] in der die herkömmlichen bisherigen Quellen umgangen und von bestimmten Kreisen als Lügenpropaganda diskreditiert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Wir sehen, das Geheimnis der Ausstellung liegt nicht im Lüften einer so sicheren Wahrheit bzw. Lüge, liegt auch nicht am Spaß mit dem Tabu-bruch,  sondern im Spielen und Ringen um die Wahrheit und Wirklich-keit, um Vertrauen und Misstrauen, um unsere Entscheidungsfindungen und Weltbilder. Ich habe mich nicht verdeckt gehalten und so getan, als wäre alles wahr beim Hangmümmler – und das ist gut so. Denn was, wenn es sich bei den Objekten um wichtige Dokumente, Urkunden und Verträge handelt, wenn die erfundenen Geschichten nicht zum Amüsement und der eigenen Erkenntnis dienen, sondern zu glaubhaften Nachrichten frisiert werden, die uns beeinflussen sollen? Was, wenn die Stimmungsmache nicht unserem Amüsement, sondern der knallharten Durchsetzung machtpolitischer und ökonomischer Ansprüche dient?

Der Hangmümmler hilft uns die Grundlagen im Ringen um Wirklichkeit vor Augen zu führen, er zeigt, wie einfach es ist, glaubwürdige Quellen, Objekte und Zusammenhänge zu erfinden und zur Meinungsmache einzusetzen. Er stellt unseren Begriff von „Wahrheit“ zur Diskussion. In der Kunstgeschichte gelang Marcel Duchamp 1917 ein ähnliches Manöver mit dem sogenannten „Ready Made“, einem handelsüblichen Pissoir, das sich plötzlich in einem Museum befand und den Begriff der „Kunst“ zur Diskussion zu stellte. Ist Museum der Rahmen, der das Label „Kunst“ verleiht?

Der Hangmümmler regt im ausgesprochenen und offen zugegebenem Widerspruch zum Innehalten, zu Verlangsamung und zum Nachdenken an als Sinnbild eines Tieres, das sich extrem gut auf dem schrägen Untergrund der Wirklichkeit bewegen kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 

ANMERKUNGEN UND VERWEISE

 

[1] Ankündigung des Museumsabends: Making of und Fake News

Am Montag, dem 5.03.2018, laden das Museum Alzey, der Altertumsverein und die KVHS um 20:00 Uhr zu ihrem nächsten Museumsabend unter dem Titel „Hangmümmler – Making of und Fake News“ ein. Der Kurator der aktuellen Sonderausstellung des Museums Alzey, Dr. Claus Maywald, wird bei seinem Vortrag, ausgehend vom Gegenstand der Ausstellung, dem kaukasischen „Hangmümmler“, sehr grundsätzlich den überaus aktuellen Fragen von Wahrheit und Fälschung nachgehen, psychologisch wie philosophisch. Im Anschluss an den Vortrag sollen im Gespräch, bei einem Glas Wein, Fragen und Meinungen zu dem Thema vertiefend diskutiert werden. Der Vortrag ist kostenfrei.

[2] Lügengeschichte in der Rheinhessen News vom 3.1. 2018 / Fälscher in der Rhein-Neckar Zeitung vom 3.2. 2018 / Kleine Lüge, große Wirkung in der Allgemeinen Zeitung vom 21.2. 2018 / Tiererfinder in der Süddeutschen Zeitung vom 23.2. 2018

[3] Geschlechtsdimorphismus: unterschiedliche Körpergestalt bei männlichen und weiblichen Tiere/ Euryök: Fähigkeit von Arten, einen breiten Schwankungsbereich eines oder mehrerer Umweltfaktoren ertragen zu können /Symbiose oder Mutualismus: Wechselbeziehung zum gegenseitigen Nutzen

[4] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Donald Trump und die Lügen“, S.15

[5] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[6] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[7] Wikipedia Artikel „Narratives Interview“ vom 4.3. 2018

[8] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[9] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[10] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.9

[11] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.11

[12] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.13

[13] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.9

[14] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.9

[15] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Wenn künstliche Intelligenz zur Waffe wird, S.26f

[16] Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Algorithmen bestehen aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Aus: Wikipedia Stichwort Algorithmus 3.3. 2018

[17] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Wenn künstliche Intelligenz zur Waffe wird, S.26f

[18] Aus: https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/was-ist-ein-algorithmus-definition-und-beispiele/ 3.3. 2018

[19] VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 2/2017 – 01/2018. Artikel Fake News –im Streit um die Wirklichkeit, S.13

[20] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Wenn künstliche Intelligenz zur Waffe wird, S.26f

[21] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Wenn künstliche Intelligenz zur Waffe wird, S.26f

[22] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[23] Aus: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/03/Will-wissen. Artikel: Psychologie: Woher wissen wir, was Realität ist.

[24] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Donald Trump und die Lügen“, S.15

[25] Nach VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 12/2017 – 01/2018. Artikel Fake News – im Streit um die Wirklichkeit, S. 10

[26] Nach VBE Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz, 15.12. 2017 Heft 12/2017 – 01/2018. Artikel Fake News – im Streit um die Wirklichkeit, S. 11

[27] Die Welt Kompakt Ausgabe vom 23.2. 2018 Artikel „Donald Trump und die Lügen“, S.15